„Sag mir, wer die Huren sind“

Die gesellschaftliche Wahrnehmung der Frauen in der Sexindustrie

Sag mir, wo die Huren sind
„Prostituierte“, so steht es auf der Bauchbinde zu lesen, die im unteren Bereich des Bildschirms eingefügt ist und den Beruf der zu sehenden Person bezeichnet. Unschwer zu erraten, handelt es sich um eine der zahlreichen Talkshows, zu denen Sexarbeiter/innen* gern eingeladen werden. – Und in denen sie zahlreich vertreten sind – es geht schließlich ums Geld ...
Denn auch diese Arbeit ist ein Aspekt ihres vielseitigen Tätigkeitsbereiches. Als Medien- oder Maulhure kann frau heute zunehmend Geld verdienen, profiliert sich als Very Important Prostitute (VIP) und wird mit Empfehlung weitergereicht. Sie tut dies auf ganz offene, einsehbare und ehrliche Weise. Es ist allen bekannt, dass die Frauen für ihren öffentlichen Auftritt Geld verlangen und erhalten. Auch andere Teilnehmende bzw. ihre äußerungen sind gekauft, es wird aber „Authentizität“ vorgegaukelt. So hur, so pur ....
Die Verhältnisse scheinen sich umzukehren oder waren Huren nicht schon immer „die ehrbaren Dirn?“

Eine starke Medienpräsenz ist also seitens der sexuell arbeitenden Frauen zu verzeichnen, die jetzt die Nachfrage der immer schon willigen Medien ausreichend befriedigen können und auch wollen. Schließlich waren die Damen bis auf wenige eloquente Ausnahmen lange nicht bereit, sich von geifernden Moderatoren auf einem „heißen Stuhl“ präsentieren und in unverschämter Weise über ihr Privat- wie Berufsleben auspressen zu lassen.
Das Medientraining „ Prostitution in den neuen Medien“ und besonders „Wie prostituiere ich mich erfolgreich im Fernsehen?“ wurde mittlerweile von vielen Frauen gleichermaßen als Arbeits-Beschaffungs-Maßnahme erfolgreich absolviert.
Dieses Angebot aus der Sex-Dienstleistungs-Palette ist zum einen auf die große Flexibilität des Gunst-Gewerbes zurückzuführen, der immer neue Märkte erschließt bzw. sich den sich wandelnden horizontalen Bedingungen schnellstens anpasst. So wurde in den letzten Jahren beispielsweise verstärkt die Esoterik aufgenommen und „Tantra-Massagen“ oder „ganzheitliche Sinneserlebnisse“ angeboten, deren Handhabung in Weiterbildungsseminaren erlernt werden konnte.
Zum anderen ist es aber sicherlich der Hurenbewegung und ihrer öffentlichkeitsarbeit zu verdanken, dass sich Frauen zum „öffentlichen“ Arbeiten entscheiden und damit verstärkt sichtbar werden. Im Zuge der Emanzipation trauen sie sich, Gesicht zu zeigen. Und während diese Schleier hierzulande fallen, werden gleichzeitig hier- und andernorts erneut welche eingeführt ...

öffentliche Dienstleistungen
Zum Bereich der öffentlichen Sex-Arbeit zählen neben genannten Fernseh- und Rundfunk-Engagements diverse kulturelle wie soziale Veranstaltungen und Aktivitäten. Huren betätigen sich als Schriftstellerinnen und lesen aus ihren Büchern. Sie organisieren Ausstellungen in Bordellen und zeigen ihre Gemälde, Fotografien und Skulpturen nebst ihrem Arbeitsplatz. Festivals werden organisiert wie „1001 Nacht“ oder die „Kulthur-Tage“ in Berlin, auf denen für alle Interessierte Podiums-Diskussionen, Seminare, Film-Reihen, Sex-Workshops und Abendveranstaltungen angeboten werden.
Aus Amerika unterstützten Annie Sprinkle, Nina Hartley, Fanny Fatale und ihre freudenaktivistischen Kolleginnen das Coming-Out der Hurenbewegung und füllen mit ihren One-Woman-Shows ganze Säle. Die Pro-Sex-Engagierten nutzen ihr praktisches Wissen und die vielfältigen Erfahrungen, die sie während des Berufslebens gemacht haben, kombinieren es mit ihrem theoretischen Hintergrund und geben dieses an das begehrende Publikum weiter. Huren profilieren sich als „Sex-Educators“: Lehrerinnen, die Seminare anbieten und Aufklärungs-Materialien produzieren. Die informativsten Lehrfilme zur Sexualität werden von Fachpersonen, den Huren gemacht und zeichnen sich durch ihre liebe- und lustvolle Demonstrationsweise aus. Ob Atemtechniken, weibliche und männliche Ejakulation, Prostata-Massage oder Labien-Shiatsu, mit diesen Praktiken erhalten viele erstmalig einen Hinweis auf unerahnte Möslichkeiten der Genussfähigkeit. Das weite Feld der Sexualität ist noch weitgehend unerforscht und stellt ein verborgenes Museum dar, so dass es nicht verwundert, dass die Nachfrage nach seriöser Information stetig steigt. Frauen sind hier besonders wissbegierig und nehmen, einmal wachgeküsst, die Kompetenz ihrer professionellen Geschlechtsgenossinnen gerne an. Diese wiederum promovieren zusätzlich als Sexologin und weisen nun auch noch einen offiziellen Titel aus, der ihre gewerblichen Auszeichnungen verdoppelt. Ehre, der Ehre gebührt: Frau Dr. Sex. h.c. lässt grüßen...

Fachdisziplin: Sex
Volle Säle sind auch an den Universitäten zu verzeichnen, die Huren als Dozentinnen engagieren oder ihnen einen Lehr- und Liegestuhl anbieten, wie an der FU und HU Berlin oder auch in Sydney geschehen. Vor allem angehenden Sozialarbeiter(inne)n und Pädagog(inn)en ist noch viel Grundwissen in Sachen Sexualität beizubringen, bevor sie mit ihrer Mariahilf-Mission auf die Strasse gehen und den Frauen Gummis überstülpen ... Auch die „Gender-Studies“ und die Kulturwissenschaften zeigen sich offen für das Wissen von Sexpertinnen und beziehen dieses in den gesellschaftlichen (Sexualitäts-) Diskurs mit ein. An der Stellung der Prostituierten lässt sich schließlich auch die Lage der Frauen ablesen. An Volkshochschulen werden Veranstaltungen von, mit und über Sexarbeiterinnen angeboten. Schulen laden Sexpert(inn)en ein, ihren Aufklärungsunterricht zu gestalten. Schließlich sind noch die „Hur-Tours“ hervorzuheben, eine besondere Form des Marketings, die Information und Aufklärung mit Prostitution verbindet – Sex-Arbeit eben. ähnlich anderer Stadtführungen bieten die Frauen einen Strich-Spaziergang an und laufen mit ihrer Gruppe genau eine Arbeitsstunde lang im „Karree“, dem für die Zwecke der Prostitution vorgeschriebenen Bezirk. Dabei erzählen sie Geschichten und Geschichte aus dem Milieu, verweisen auf Gewesenes oder Mögliches, singen, lachen und tanzen. Sie bieten einen Grenzgang zur Illusion, die das Rotlicht schon immer begleitete und regen damit zum Nachdenken an.

Mehrfach-Qualifikation durch Sexarbeit
All diese genannten Beispiele sind aus einem vor Jahren als Wunschdenken Formulierten entstanden und haben sich im Laufe der Zeit realisiert. Studien zur Mehrfach-Qualifikation der Huren haben dazu beigetragen, das Selbstbewusstsein über die in der Sexarbeit erworbenen Fähigkeiten zu stärken. Vor allem haben sie die Möglichkeit aufgezeigt, auf diesen Kompetenzen aufzubauen und sie für weitere Berufsfelder positiv zu nutzen. So wird der Bereich der Sex-Aufklärung und -Beratung sicherlich noch weiter ausgebaut werden; gerade im Therapiebereich offenbart sich eine große Nachfrage. Huren könnten hier gezielt die praktische Unterweisung angehen und beispielsweise mit Gesprächstherapeut(inn)en zusammenarbeiten (was stellenweise schon längst praktiziert wird). Neben diesen sozialen und therapeutischen Eigenschaften des Berufes Hure ergeben sich noch weitere: die Schauspielerei, der flotte Rollenwechsel, das kompetente Eingehen auf die Kunden, das Verhandeln und geschickte Feilbieten zu deren Zufriedenstellung und nach eigenem Können und Wollen. Diese Soft Skills gehören zur Grundausstattung für den erfolgreichen Verkauf jeglicher Produkte und sind damit wertvolles psychologisches Rüstzeug für alle Dienstleistungen. Der Schritt zur Gründung des eigenen Unternehmens ist gar nicht so weit und wir können uns heute schon vorstellen, wie sich „Hur-Tours“ als Reiseunternehmen machen. Die Reise ins Glück wird individuell und gruppengerecht durchgeplant und organisiert. Die Gäste werden schon im Flugzeug von charmanten Bord-Schwalben betreut. Diese klären über die Sicherheitsvorkehrungen auf, wie Gummis anzulegen sind und Safe-Sex getrieben wird. Kondome und Sextoys sind gleich dutyfree an Bord erhältlich. Auch das höfliche Benehmen gegenüber Frauen sowie die Respektierung anderer Sitten wird einstudiert. Im gewählten Land übernehmen dann die einheimischen Frauen und begleiten und versorgen die Kunden je nach Wünschen oder Buchungen. „ Lusthansa. Your pleasure is our profession!“ Der Werbespruch stammt übrigens aus einer Abschlussarbeit einer Gruppe von Studierenden, die Werbekampagnen für den Beruf Prostitution entwickelte. Und das ist auch das Neue, um das noch einmal zu betonen: die öffentlichmachung. Denn die genannten Fähigkeiten hatten Frauen ja schon immer, und eine Modeboutique, einen Schönheitssalon oder eine Confiserie fand sich clichémäßig schon immer in kompetent kauffrauischen Hurenhänden. Doch welche hätte sich dazu bekannt?

Die Wertschätzung
Mit der Hervorhebung der beruflichen Qualifikationen und der Zunahme an Informationen über Sex-Arbeit geht auch eine verstärkte Akzeptanz in der Bevölkerung einher. Sexarbeit ist demnach eine neben anderen Lohnarbeiten, durch die Geld rangeschafft wird. Schon Anfang der Neunziger antworteten 90 % der Personen, die im Rahmen eines „Fragen-Striches“ in Berlin von „Nutten & Nüttchen“ befragt wurde, dass Prostitution Arbeit ist und als Beruf anerkannt werden sollte.
Dabei wird meist von der Vollzeithure ausgegangen, die rund um die Uhr ihre Schichten schiebt und „ganz schön schwer ackern muss, um über die Runden zu kommen“. Auch wenn viele glauben, dass viele Huren mehr oder weniger gut verdienen, wird doch angenommen, dass das Geld hart verdient ist. Insofern ist es dann doch nicht ein Job wie jeder andere, sondern einer von der Sorte Arbeit, der viel Einsatz erfordert. Die Mehrheit der Personen wusste auch darüber Bescheid, dass Huren keine Rechte genießen, aber Steuern zahlen müssen und von Versicherungen nicht aufgenommen werden. Ihre Sorge galt daher oft dem Alter und der Absicherung im Krankheits- und Altersfall. Umso mehr traten sie für eine Anerkennung und damit eine Wertschätzung des Berufes ein, der ihnen wie allen anderen Staatsbürger(inne)n gleiche Rechte zusichert. Diese positive Einstellung in der Bevölkerung zeigt sich auch nach der Einführung des Gesetzes zur Anerkennung des Berufes Prostitution. Wenn Huren selbst diese Euphorie mangels Auswirkungen in ihrem Arbeitsleben weniger teilen, geht es doch um die allgemeine Anerkennung von Sexarbeit, der die Gesetzgebung nachkam. Was der Volksmund schon lange wusste, jetzt steht es schwarz auf weiß: Sie ist eine „Profi“. Die Anerkennung erfolgte auch in der offiziellen Berichterstattung, die den „Internationalen Hurentag“ am 2. Juni jährlich dokumentiert und auf die Errungenschaften hinweist.
Dieser Feiertag geht auf die Geburtstunde der Hurenbewegung zurück, in der sich im Jahr der Frau 1975 Huren in Frankreich gegen zunehmende Gewalt und Repressionen wehrten und eine Woche streikten, indem sie Kirchen besetzten. Seitdem existiert eine Huren-Bewegung, die auf lokaler, nationaler, europäischer und internationaler Ebene agiert.

Diversifickation
Wurde Prostitution vor wenigen Jahren noch vom Bundeskanzler und dessen jugendlicher Frauenministerin als „unwerte Tätigkeit“ verdammt, erlaubt die gesellschaftliche und jetzt gesetzliche Wertschätzung vielen Sexarbeiterinnen, sich zu ihrer Tätigkeit zu bekennen. Neueinsteigerinnen, die vielleicht nicht auf die hurenspezifische negative Sozialisierung zurückblicken, können sich stolz als Sex-Arbeiterinnen, Huren oder Profis ausweisen und ihre Disziplin angeben. Bei der Erschließung neuer Zielgruppen kann Klartext geredet werden, es bedarf keiner Verschönerungen mehr aus Angst vor negativer Bewertung. Die Scham und Angst vor Verstoßung und Diskriminierung geht dabei meist von den Sexarbeiterinnen selbst aus. Sie stellt nach wie vor das größte Leiden der Prostituierten dar. Nachfragende u.a. zum Beispiel behinderte Personen wollen schon lange die Dienste von Profis in Anspruch nehmen und tun dies auch zunehmend. Die derzeit Anbietenden nennen ihre Arbeit aber „Körper-Kontakt-Service“ oder „Sexualbegleitung“, reden von „Surrogatperson“. Sie grenzen sich bewusst von Sexarbeit ab, um nicht „am Rande der Gesellschaft zu stehen“.
Als Zielgruppen zeigen sich auch zunehmend Altersheime oder andere Institutionen und Anstalten, die über den Weg der Anerkennung des Berufes ihre Pforten öffnen könnten. Es zeigen sich aber noch viele institutionelle wie auch individuelle Hindernisse, Sexualität für jede Person lebbar zu gestalten, die das möchte. Das Pflege- oder Dienstpersonal und die Anstaltsleitung sind oftmals ungeschult und unfähig auf die Bedürfnisse der Bewohner/innen einzugehen, nicht zuletzt, weil sie sich nicht ihrer eigenen annehmen können oder wollen. Damit kommt man darauf zurück, dass eine einfühlsame Sexualaufklärung die Basis für das Verständnis von Sexarbeit ist. In diesem Bereich liegt offensichtlich eine große Herausforderung.

Auch Frauen zeigen verstärktes Interesse an sexuellen Dienstleistungen. Die potentiellen Kundinnen sind meist sehr gut informiert, respektieren und schätzen die Arbeit der Sex-Anbieter/innen und wollen den „Wellness-Bereich“ um die sexuelle Gesundheit erweitert wissen. Entwürfe zu artgerechten „Body-Tempel für Frauen“ existieren schon in architektonischen Schubladen, sie warten lediglich auf die Finanzierung. Bis dahin vergnügt frau sich schon einmal mit Callboys und -girls und bekennt sich zu diesem Luxus. Diese Dienstleistungen stellen für viele Personen auch eine Möglichkeit dar, mit ihren sexuellen Identitäten zu experimentieren. So lassen sich auf unkomplizierte Weise lesbische, schwule, trans- und heterosexuelle Neigungen ausleben und diverse Praktiken ausprobieren, ohne Ablehnungen oder Verurteilungen ein stecken zu müssen. In der Sex-Arbeit waren zu allen Zeiten alle sog. Perversitäten erlaubt, die in (Teilen) der Gesellschaft verrucht waren oder als anormal angesehen wurden. Es könnte heute wieder eine Art „Initiierung“ durch Huren praktiziert werden, die willige Personen in die Künste der Liebe einführen. Auf diese Weise erhalten Huren ihren Status als „Liebesdienerin“ und „Tempelhuren“ wieder, die eine Weihe verleihen.

Nutte oder Pro-Situierte?
Ein solcher gesellschaftlicher Wandel findet seinen Ausdruck auch auf der Wortebene. Liebesengel und Tempel-„Huris“ (persisch-arabisch) sind ursprünglich himmlische Nymphen, „tanzende Gebieterinnen der Stunde“, die die Himmelstore bewachen und die himmlischen Sphären drehen. Im Griechischen sind sie in „hora“ zu finden, im amerikanischen in „harlot“. Das Wort „Hure“, hebräisch Loch, als Synonym für die heilige Prostituierte, deren Yoni das Zentrum des Göttinnentempels ist, hat sich heute erfolgreich als Politparole in „Beruf Hure, na klar!“ durchgesetzt und wird von vielen als relativ neutrale Beschreibung benutzt.
Als Prostituierte gilt frau dagegen wie als Graduierte recht akademisch, trifft aber in seiner Passivkonstruktion nur bedingt zu und spiegelt eher den öffentlich theoretischen Umgang mit Sexualität wieder, der sich distanziert. Die „Professionelle“ ist eine schöne Bezeichnung, ist sie doch eine der wenigen positiven Zuschreibungen von weiblicher Kompetenz, zur Präzision ist aber der Sex nötig. „Sexpertin“ ist daher beliebt, um die Fachkompetenz auf diesem Gebiet zu unterstreichen. „Sex-Arbeit“ bietet sich als Oberbegriff für alle Tätigkeiten an, die sich mit Sexualität befassen. Dagegen bezeichnet die Sex-Industrie den Wirtschaftszweig, in dem die Frauen arbeiten. „Nutte“ gilt allgemein als Schimpfwort, obwohl es ursprünglich ein Berliner Ausdruck für Frauen war, die heimlich „auf jung“ machten. Das könnte sich wieder einspielen, wenn Nutten & Nüttchen sich vermischen, die anständigen sich mit den unanständigen Frauen zusammentun. Wird frau zunehmend pro-situiert, lebt es sich ganz ungeniert ...
Davon könnte auch die Werbung profitieren, die schon lange mit Sex viel Geld macht. Es existiert bislang ein ungeschriebenes Verbot der Zeitungen und Zeitschriften, bestimmte Wörter wie „Hure, Sex, Liebe, Prostitution etc.“ in Anzeigentexten zu benutzen. Das wird darauf zurückgeführt, dass Werbung für Prostitution (trotz der neuen Gesetzgebung) noch immer verboten ist und sie sich somit strafbar machen, wenn sie diese Wörter abdrucken. Andererseits werben Dominas für Zigaretten und Bürostühle. Nach der Legalisierung kann das „gesundheitsbewußte Modell“ neben der „Safer-Sex-Schlampe“ oder der „gummigeilen Grotte“ und der „latexbefeuchteten Luisine“ liegen. Damit würden sich Wortschöpfungen angenehm ausbreiten und den voyeuristischen und ecouteuristischen Bedürfnissen der Lesenden gerecht werden, die durch diese Appetizer gezielt in den dafür vorgesehenen Rubriken scharf gemacht werden.

Die Opfer-Diskussion
Die gesellschaftliche Anerkennung ist im Großen und Ganzen schön und gut. Die Pferdchen beim Namen zu nennen ist wichtig für die Existenzbescheinigung, denn Sprache bestimmt das Bewusstsein und umgekehrt. Im Detail stecken allerdings noch viele Sexismen und Rassismen. Vor allem durch die Medien und deren „seriöse“ Berichterstattung wird immer noch ein recht einseitiges Bild von Prostituierten vermittelt. Dieses kennt nur sensationsträchtige und damit gewinnbringende Extreme: die Nobelprostituierte bzw. „Edelnutte“ und die drogenabhängige bzw. die verschleppte und vergewaltigte, ebenso willenlose Frau. Damit werden bewusst alle arbeitenden Frauen über einen Strich gekehrt und auch die vielfältigen Einsatzgebiete der Sexarbeit ignoriert, die sich neben Straßenstrich und Edelpuff auftun und nicht unbedingt hierarchisch gegliedert sind. Es kommt auf die Arbeitsbedingungen und die Gestaltungsmöglichkeiten an, die im günstigsten Fall von der Frau selbst bestimmt werden. Von staatlicher Seite können dabei durchaus positive Rahmenbedingungen gegeben werden, wie z. B. in Holland und Australien mit den Richtlinien für den Betrieb eines Bordells. Die Darstellung der Huren als „verkaufte Kühe“ (Spiegel), als Handelsware von Zuhälterringen, lässt die Frauen aber als nichtsahnende junge Dummchen dastehen, die den „Geld und Glitzer“-Versprechungen des erstbesten Menschenhändlers glauben und sich in ihr eigenes Unglück stürzen. Und das tun sie massenweise, wie die Lemminge oder eine todesbereite No-Future-Sekte. Sie kommunizieren nicht untereinander und informieren sich nicht, erhalten keine Berichterstattungen, sondern gehen „begeistert“ freiwillig mit, um dann plötzlich erniedrigt zu werden. Dabei sind es vor allem die armen und ungebildeten Frauen aus dem Osten, afrikanische und asiatische Frauen, die „abtransportiert“ werden. Dem gegenüber liegen Hollywood-Größe Heidi Fleiss und die britische Skandal-Edelhure Keeler als bestbezahlte Modelle, die wissen, wie es läuft.
Nicht, dass es keine Verschleppungen und Menschenhändlerringe gäbe – wobei das Ausmaß äußerst fraglich ist – aber eine solche undifferenzierte Sichtweise auf Huren schreibt den öffentlichen Diskurs fest und bleibt damit in den Köpfen und an den Körpern hängen. Nicht gezeigt werden selbstbewusste Frauen wie die thailändische oder russische Bordellmanagerin, die als „mamasan“ oder „babuschka“ sozial und kompetent die Leitung übernimmt, die schwarze Polin, die für Werbung und Marketing des Betriebs zuständig ist oder die lettländische angehende Rechtsanwältin, die wie so viele ihr Studium mit Sexarbeit finanziert und sich auf europäisches Prostitutionsrecht spezialisieren will. Nicht erwähnt werden auch die Frauen, die völlig autonom entscheiden, Sexarbeit zu tätigen, weil sie Praktiken lernen wollen, Sex toll finden, männliche und heterosexuelle Lustmechanismen analysieren wollen oder es einfach spannend finden, diese Welt kennen zu lernen. Diese Vielfalt der sexarbeitenden Frauen immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, ist wichtiger Bestandteil der Arbeit der Hurenbewegung.

Die Täter/innen-Diskussion

Parallel zur Viktimisierung der Sexarbeiterinnen erfolgt seit über zwei Jahrhunderten eine Schuldzuweisung, die Huren als Täterinnen dastehen lässt. Nicht nur durch AIDS, sondern jüngst auch wieder durch den Anstieg sexuell übertragbarer Krankheiten wie z.B. Syphilis werden Huren und Schwule als Risikogruppen ausgemacht. Auch wenn Safer Sex an jeder Litfasssäule prangert, wird doch auffallend wenig Schutz im Verkehr angewendet. Aber nicht Männer, die zu Sexarbeiterinnen kommen und ungeschützten Verkehr durchsetzen, sind die ausgemachten Risikofaktoren, sondern die Frauen werden als überträgerinnen und Schwule als Sünder/innen gebrandmarkt. Die Aufklärungskampagnen sind eigentlich gezielt an Männer zu richten, den Frauen sind dagegen Techniken und Praktiken zu zeigen, die ihnen das von unwilligen Kunden unbemerkte überstreifen des Gummis und die Wahrung der Kontrolle in solchen Situation erlauben.
Dass bislang noch keine Safe-Sex-Kampagnen großflächig an beispielsweise heterosexuelle Ehemänner lanciert wurden, ist auf das Festhalten an eben diesem heterosexuellen Konzept zurückzuführen. Würde dieses hinterfragt und polygame Lebens- und Liebesweisen offiziell akzeptiert, wäre ein wichtiger Schritt aus dem Sündenloch heraus getan. Das Treue-Gelübde, das schutzlosen Sex bedingt, wäre aufgelöst. Das würde auch einen Politiker wie Friedmann in die Pflicht nehmen, der wegen Gebrauchs von Drogen und Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen aufflog. Letzteres wäre und war auch kein groß diskutiertes Thema, da mensch ja mann ist. Dass er allerdings einen illegalen Händlerring bemüht hat, anstatt sich wie bei anderen Dienstleistungen Frauen mit geschützten Arbeitsbedingungen empfehlen zu lassen, schreit umso mehr nach einer Legitimierung der Sex-Arbeit und gezielteren Aufklärungs-Maßnahmen für Männer.

Das Verschwinden der Sexualmoral
Unterstützung in Sachen Aufklärung kommt aus der Frauenbewegung, die wesentlich dazu beigetragen hat, die männliche Sexualmoral zu demontieren. So war in den letzten Jahrzehnten festzustellen, dass Frauen immer autonomer ihre Sexualität leben und vor allem selbst bestimmen, wie diese aussieht. Das heißt konkret, dass Sex nicht mehr auf Penetration reduziert wird, sondern verschiedene Varianten gleichberechtigt nebeneinander geltend gemacht werden. Auch Masturbation und Eigenliebe sind jetzt offiziell als Sex anerkannt. Damit einher geht eine „Verhandlungsmoral“, die Sexpartner/innen handeln ihre Wünsche und Bedürfnisse miteinander aus, wobei prinzipiell alles angesprochen werden kann. Kommunikation steht also als Voraussetzung auf dem Sexplan. Hier werden Affären, Seitensprünge, sexuelle Dienstleistungen und auch der geschützte Verkehr besprochen. So feministisch, so gut. „Verhandeln“ ist auch eine Vokabel aus dem Sex-Gewerbe und ebenso Voraussetzung eines Stichs, einer sexuellen Begegnung. Die Frauen verhandeln mit den Kunden, was sie bereit sind, für welches Honorar zu leisten. überm Strich erfolgt eine Solidarisierung durch das Vokabular, unterm Strich gereicht es zur Zufriedenheit aller Beteiligten.

Ist sie so eine? – Die Verhurung der Frauen:
Huren erfahren durch diese sich etablierende Verhandlungsmoral eine Aufwertung ihrer Arbeit und Frauen emanzipieren sich aus ihrer sexuellen Unterdrückung, indem sie bewusst ihre Belange einfordern. Das sexuelle Selbstbewusstsein, das Frauen entwickeln, stärkt im Erkennen eigener Wünsche und in der Abgrenzung zu Nicht-Erwünschtem oder mündet in einer gegenseitigen Befriedigung auf Tauschbasis. Die Bezeichnung „Hure“ ist für diese Frauen kein Schimpfwort mehr, sondern wird neben „Zicke“ und „Biest“ stolz auf das T-Shirt geschrieben: „Slut“, „Flittchen“, „nur für jetzt“, „probier mich“. Gleichzeitig passt sich die Mode immer mehr der Arbeitskleidung der Sexarbeiterinnen an, so dass kaum noch eine Unterscheidung mehr möglich ist. Die allgemeine Sexualisierung der Gesellschaft als eine Höchstform des Exhibitionismus unterstreicht noch den Nutten & Nüttchen-Charakter dieser Körper-Kultur. Es bleibt den Frauen gar keine andere Wahl, als sich zu solidarisieren und klare Grenzen zu ziehen, sich genau einzuteilen und dezidiert vorzugehen. Die Spaltung in Hure und Heilige, anständige und gefallene Mädchen hat das Patriarchat selbst beseitigt. Die weiblichen Devisen lauten demnach: Kühles Kalkül in Zeiten der Profi-Maximierung. Ob frau so eine ist oder nicht, eine war oder wird, spielt keine Rolle mehr. Huri!

Laura Méritt, Berlin
„ Handbuch der Prostitution“, Teil 2, Frauen, das im Herbst 2004 erscheinen wird.

* Im Folgenden ist die maskuline Schwundform naturgemäß in der weiblichen Form enthalten. Zudem ist der Beruf der Prostitution generell weiblich besetzt.

Medienrummel


Sexclusivitäten und Laura Méritt in den Medien